Bitte Berühren

by traumjobmama

Bericht über den Makel, der mich schon fast 20 Jahre begleitet und beschäftigt…

Enthält Kampagnen-Verlinkung

Perfektion bis in die letzte Pore…

Ist hier etwa niemand perfekt? Wirklich niemand? Echt jetzt? Hier bei Instagram und in dieser heilen Blogger- und Social-Media-Welt? Kann das sein? Ich vermute jetzt einfach mal…ja! Wie oft denke ich mir beim Durchscrollen meines Feeds, wie perfekt doch das Leben aller hier ist. Keine Augenringe, Inneneinrichtung Ton in Ton, Reisen quer durch die Welt. Einfach zum Träumen. Aber dann gibt es da ja noch dieses kleine aber feine Sprichwort: „Unter jedem Dach ein Ach.“ Und genau das schießt mir so oft in den Sinn, wenn ich die ganzen schönen Bildchen hier sehe. Versteht mich nicht falsch. Ich erfreue mich sehr an dieser schönen heilen „Instawelt“, schließlich poste ich selber gerne schöne Fotos. Warum auch nicht? Wer braucht schon ein Netzwerk, welches einen runterzieht? Niemand! Spaß und Freude soll es machen. Aber manchmal gehört vielleicht auch eine extra Portion Realität dazu. Einfach um zu sehen, dass man sich das Leben zwar perfekt machen kann, aber dass es eben doch bei niemanden bis in die letzte Pore perfekt ist.

Und auch bei mir gibt es jede Menge dieser „Achs“. Keine elementaren, die mich alles in Frage stellen lassen – aber es gibt sie.

Mein optisches Ach

Hier soll es aber heute nicht um meine ganzen kleineren und größeren unperfekten Macken oder Eigenarten gehen, die
Simon und andere manchmal in den Wahnsinn treiben. Nein – heute geht es um ein optisches „Ach“. Davon habe ich nämlich auch ein paar, auch wenn ich sie gerne verberge. Zum Beispiel meine X-Beinchen oder meine, nicht ganz optimale, Körperhaltung. Aber mein, für mich, elementarstes „optisches Ach“ sind meine Füße. Ja ich weiß – viele Menschen mögen ihre Füße nicht. Füße sind schon eine besondere Spezies. Aber ich glaube, ich könnte meine Füße mögen, wenn sie gesund wären. Aber sie sind leider nicht gesund. Und jetzt kommt der Teil, der mir schwerfällt, denn wissen tun davon bisher nur meine Familie, Simon und meine besten Freundinnen. Ach ja und meine Arbeitsunfähigkeitsversicherung. Und jetzt? Auch Ihr und das WorldWideWeb! Ich leide unter Psoriasis. Auf Deutsch: Schuppenflechte!

Psoriasis klingt schöner

Schuppenflechte – ein (für mich) schreckliches Wort, weshalb ich mich noch viel weniger gern „oute“. Schuppen und Flechten – es gibt schönere Dinge auf dieser Erde. Ich wünschte der Begriff Psoriasis wäre verbreiteter. Der ist mir nämlich lieber. Aber das wäre vielleicht nur ein weiterer Versuch sich hinter einem scheinbar schöneren Wort zu verstecken. Viele Menschen haben Hautprobleme oder Hautkrankheiten – nichts wofür sie etwas können – und nichts wofür man sich schämen muss, wie ich finde.

Meine Füße sind nicht spontan

Gerade jetzt im Sommer sind meine Füße täglich Thema bei mir. Bekomme ich sie heute so gepimpt, dass ich mich traue offene Schuhe zu tragen? Oder ist es so schlimm, dass ich trotz Hitze lieber geschlossene Schuhe trage? Habe ich Nagellack und Feile dabei, damit ich meine Pediküre schnell ausbessern kann? Sind meine Söckchen in der Tasche? Falls es spontan irgendwo heißt: bitte Schuhe ausziehen!

14 Jahre keine Nagellack-Pause

Schuppenflechte (in meinem Fall zum Glück nur an den Füßen) habe ich bereits seit meiner frühen Pubertät. Ich denke

es ging um die Jahrtausendwende herum los, als ich so ungefähr zwölf, dreizehn Jahre alt war. Meine Haut an den Füßen wurde plötzlich sehr trocken, rau und eben schuppig. Aber was mich noch viel mehr belastete: Meine Nägel bekamen unschöne Verfärbungen und auffällige Unebenheiten und Verformungen. Medizinische Lacke blieben immer und immer wieder erfolglos in ihrer Wirkung. Und da ging sie dann also los: meine Nagellack-Sucht. Lacke in allen erdenklichen Farben, sodass niemand meine Naturnägel sieht. Ich feilte stets und ständig und lackierte sie in den verrücktesten Nuancen. Jahrelang!

Bis ich mit meiner großen Maus 2015 dann in Elternzeit ging. Bis dahin hatte ich 14 Jahre (!) permanent Lack auf den
Fußnägeln. Ohne einen einzigen Tag Pause. Niemand kannte mich ohne bunte Fußnägel – selbst Simon nicht! In meiner Elternzeit habe ich mich dann das erste Mal intensiver mit der Thematik Schuppenflechte auseinandergesetzt und damit, was man alles machen kann. Dabei bin ich auf die Kampagne BITTE BERÜHREN gestoßen. Die hat mich ermutigt das Thema nochmal neu in Angriff zu nehmen. Denn frühere Hautärzte hatten mein Leiden immer abgetan. Schmerzen hatte ich keine, aber meine jungmädchenhafte Psyche hat schon regelmäßig darunter gelitten, was bei meinen Arztbesuchen aber leider nie interessiert hat. Ich habe es daraufhin versucht immer weitestgehend zu verdrängen und zu verstecken. Schuhe an – Kopf aus. Das war meine erfolgreichste Verdrängungsmethode.

Bitte berühren – wenn Krankheit verletzlich macht

Nachdem ich bei bitteberühren.deGeschichten von anderen Patienten gelesen habe und mich nicht mehr so allein gefühlt habe, habe ich mich auch über Therapiemaßnahmen belesen und bin auf eine sogenannte Salzwasser-Rotlicht-Therapie gestoßen. Ganz proaktiv, wissend was ich will, bin ich mit meinem „neuen Wissen“ dann auf meinen neuen Hautarzt zugegangen und habe nach der Therapie gefragt. Und ich bekam sie – diese Therapie. Drei Mal die Woche bin ich ab da an mit meiner großen Maus in die Hautarztpraxis gegangen. Als sie anfing zu Krabbeln wurde es anstrengend für uns beide, weil ich in meinem Salzwasserbad bei jeder Einheit 20 – 30 Minuten „festsaß“ und sie auf meinem Arm bespaßen musste. Das war die erste Zeit seit Jahren, in der ich mich von meinem Nagellack trennte, um den maximalen Erfolg mit dieser Fußbad-Therapie zu erreichen. Es hat mich damals viel Überwindung gekostet den Lack wegzulassen. Es war zwar Herbst/Winter – die „Allgemeinheit“ hat davon also nichts mitbekommen – aber vor dem eigenen Partner kann man sowas dennoch nicht verbergen. Musste ich auch nicht. Simon hat mir noch nie das Gefühl gegeben, dass er meine Krankheit schlimm oder abstoßend findet. Fußmassagen hatte ich von Anfang an immer konsequent abgelehnt, was er auch ziemlich schnell mit viel Verständnis akzeptiert hat. Denn meine Füße haben mich immer sehr verletzlich gemacht. Nicht physisch – sondern eher psychisch. Ein sehr sensibles Thema. Immer habe ich die scheinbaren Blicke anderer auf ihnen gespürt. Immer der Film in meinem Kopf, was sie wohl denken. Freunde, aber auch Wildfremde. Immer die Angst, dass jemand auf Abstand gehen, plötzlich ein ganz anderes Bild von mir haben könnte.

Die Schwangerschaften machten alles noch schlimmer

Man hätte diese Salzwasser-Rotlicht-Therapie damals auch um Medikamente erweitern können. Seit der BITTE BERÜHREN – Kampagne wusste ich, dass dies sehr viel effektiver gewesen wäre. In meinem Fall war das während der Stillzeit nicht möglich. Und genau das war (in Bezug auf meine Krankheit) die ganzen letzten Jahre mein persönliches Dilemma. Seit 5 Jahren bin ich schwanger, stille oder wusste, dass ich zeitnah wieder schwanger werden will. Keine Chance eine „richtige“ Therapie in Angriff zu nehmen. Aber aufgeschoben ist ja bekanntlich nicht aufgehoben. Vielmehr musste ich mich in den vergangenen Jahren immer wieder damit arrangieren, dass es während den Schwangerschaften teilweise noch schlimmer wurde. Teilweise musste ich meine Nägel intensiv mit künstlicher Nagelmasse zusätzlich stabilisieren, um sie nicht zu verlieren. Ein paar Mal habe ich sie sogar tatsächlich ganz oder teilweise verloren und ich hätte ohne künstliche Nagelmasse und meine, gut geschulte, medizinische Fußpflegerin nicht gewusst, was ich machen soll. Aber nie hätte ich unseren Kinder- und Familienwunsch von dieser Krankheit beeinflussen lassen. Schmerzen hatte ich zum Glück nie, aber die unschöne Optik, hat mir als Mädchen und junge Frau schon zu schaffen gemacht. Schließlich möchte man nicht den Eindruck erwecken, man würde sich nicht pflegen. Dabei ist es vermutlich eher so, dass Menschen mit Hautkrankheiten sich wesentlich mehr pflegen als Menschen ohne. Einfach weil es notwendig ist. Man sieht es nur leider nicht. Also ging es weiter: das lackieren und gecreme.

Ein Auge weint, ein Auge lacht

Lacke und Cremes sind aber immer nur Verschönerungsmaßnahmen und können meine Schuppenflechte nicht langfristig verbergen, gar lindern. Eine richtige Therapie steht schon lange ganz oben auf meinem persönlichen Wunschzettel. Und über solche informiere ich mich bis heute regelmäßig, um endlich „startklar“ zu sein, wenn die aktuelle Stillzeit irgendwann mal zu Ende geht und ich meinen Körper wieder für mich habe. Ein Auge weint, ein Auge lacht dabei. Bye bye wunderbare, unbezahlbare Stillzeit. Hello langersehnte Psoriasis-Therapie. Ich will endlich die Schuhe kaufen und tragen, die ich möchte. Barfuß laufen ohne mich zu schämen. Am Strand liegen ohne meine Füße unter einem Handtuch zu verstecken.

Gemeinsam stark gegen Schuppenflechte

Gott sei Dank bin ich mittlerweile schon selbstbewusster geworden, was meine Schuppenflechte angeht, sonst gäbe es wohl diesen Artikel nicht. Und deshalb bin ich einfach nur unfassbar dankbar für die vom Berufsverband der Deutschen Dermatologen e.V. (BVDD) initiierte Kampagne BITTE BERÜHREN, welche ich schon eine ganze Weile vollen Herzens unterstütze.

Mir ist es wichtig, dass sich Menschen mit Schuppenflechte, aber auch Angehörige, Freunde, Partner und Bekannte von betroffenen Menschen gut und umfangreich über die Erkrankung informieren können. Denn wenn das private Umfeld keine Berührungsängste hat, einen nimmt wie man ist und zu möglichen Therapiemaßnahmen motiviert und dabei unterstützt – dann kann das den eigenen Umgang mit der Erkrankung wesentlich erleichtern.

Die Patienten-Webseite www.bitteberuehren.de ist dafür eine wunderbare Anlaufstelle. Man findet relevante und fundierte Informationen über die Erkrankung an einer gebündelten Stelle und muss sich nicht durch irgendwelche Foren mit fragwürdigen Inhalten wuseln. Auf der Seite kommen sowohl Patienten als auch Schuppenflechte-Experten zu Wort. Man kann Geschichten lesen, mit denen man sich identifizieren kann. Es werden Themen angesprochen, die sonst unausgesprochen bleiben. Und man kann sich wirklich alltagstaugliche Tipps und professionelle Ratschläge einholen, wie man mit der Krankheit umgehen kann. Betroffene, so wie ich vor vielen Jahren, die noch keine oder eine unzureichende Diagnose erhalten haben, können sich auf der Seite umfassend über Symptome und Beschwerden informieren. www.bitteberuehren.de bietet Services, wie z.B. eine Hautarztsuche (hat auch mir geholfen bei unseren vielen Umzügen) oder einen Leitfaden für das Gespräch beim Hautarzt. Eine wirklich tolle Kampagne, die Mut macht und Hilfe bietet.

Einfach mal über den eigenen Schatten springen

Und Mut machen ist auch meine größte Motivation hinter meinem „Outing“. Auch ich musste allen Mut
zusammennehmen, um Euch und aller Welt hier von meiner Schuppenflechte zu berichten. Diese Idee, die mittlerweile schon zu sowas wie einem dringlichen Wunsch geworden ist, reift schon lange in mir. Irgendwann kam der Moment, in dem ich dachte: Ich erreiche hier immer mehr Menschen – warum nicht einfach mal über so etwas „unbequemes“ schreiben und damit vielleicht dem einen oder anderen Mut machen oder auch Hoffnung schenken. Und dabei geht es nicht unbedingt nur um Schuppenflechte. Ich bin sicher, es gibt einige unter Euch, die auch unter etwas leiden und sich damit verstecken. Aber reden und offen sein hilft. Es nimmt Ballast von schweren Schultern.

Meine Schuppenflechte und ich

Nun ist es auf jeden Fall raus: mein gut gehütetes Geheimnis. Und ich hoffe, dass viele Steine von meinen Schultern abfallen werden, wenn ich diesen Beitrag gleich hochlade.

Wie Anfangs geschrieben – jeder von uns hat sein „Ach“. Und vielleicht sollten wir uns wieder mehr trauen nicht perfekt sein zu wollen. Denn unperfekt sein ist einfach nur menschlich und ganz normale Realität unter all den vielen Dächern dieses Landes. Bei jedem ist es eben etwas anderes.

Und trotz der vielen „Achs“ kann man sich sein Leben perfekt machen. Ich habe schon ziemlich früh versucht es positiv zu nehmen und mir gesagt, dass es mich wesentlich schlimmer hätte treffen können. Ich bin nicht sterbenskrank, habe eine gesunde Familie und tolle Freunde. Von meiner Schuppenflechte lasse ich mich da nicht unterkriegen. Und somit lebe ich nicht in Freundschaft mit „ihr“ – aber wir haben uns akzeptiert und leben dieses Leben gemeinsam. Meine Schuppenflechte und ich. Aktuell etwas mehr, hoffentlich irgendwann etwas weniger und vielleicht verabschieden wir uns dank moderner Therapiemöglichkeiten irgendwann auch ganz voneinander. Wir werden sehen, was die Zukunft bringt.


Sollte es Betroffene unter Euch Lieben geben – ich freue mich riesig über Eure Geschichten und Mails an mail@traumjobmama.de oder über Kommentare hier unter dem Beitrag. Und vielleicht hat der ein oder andere sogar Mut gefasst und möchte die Kampagne „Bitte berühren“ selbst unterstützen. Schaut auf jeden Fall mal auf der Homepage vorbei. Ich jedenfalls drücke Euch ganz fest und danke Euch für Eure vielen lieben „virtuellen Berührungen“ tagtäglich.

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